Kommt der Online-Zahlungsgigant PayPal als Investor nach Litauen? Mit dieser Nachricht sorgte Präsidentin Dalia Grybauskaitė nach ihrer Rückkehr vom Weltwirtschaftsforum in Davos für Aufsehen, wo sich PayPal-Vize Richard Nash konkret über die FinTech-Ambitionen Litauens informiert hatte. Und doch ist die Nachricht nur eine von vielen, die Marktbeobachter derzeit aufhorchen lässt. Nach dem Brexit hatte das südlichste der baltischen Länder angekündigt, gezielt die britischen Finanz-Startups abwerben zu wollen. Damals wurde Litauen von vielen belächelt. Nun jedoch zeigt sich, dass das Land mit seiner Strategie eines digitalen Finanzmarktplatzes offenbar eine Marktlücke gefunden hat.
Erst am vergangenen Wochenende eröffnete in der litauischen Hauptstadt Vilnius das erste europäische Blockchain Center – unter den Augen von Top-Repräsentanten der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank. Wirtschaftsminister Virginijus Sinkevičius ließ in seiner kurzen Ansprache keinen Zweifel über die Richtung aufkommen: „Sie liegen richtig mit Ihrer Entscheidung, die Zukunft in Litauen zu planen. Ich bemerke eine wachsende Erkenntnis in Europa, dass unser Land für finanzielle und digitale Revolutionen steht.“ Das Blockchain-Zentrum wurde von australischen und asiatischen Partnern finanziert. Es soll künftig dazu dienen, internationale Investoren, Blockchain-Experten und Mentoren zusammenzubringen und damit ein Ökosystem für junge FinTech-Gründer zu schaffen.
Die ausländischen Investoren trieb an, was nun offenbar auch PayPal zum Nachdenken bringt: Litauen hat in den Jahren der europäischen Finanzkrise politische Stabilität und Reformwillen bewiesen, seine Rahmenbedingungen für Investments verbessert und verfügt über eines der am besten ausgebauten Breitbandsysteme der Welt. Nach Jahren im Schatten des weitaus bekannteren baltischen Nachbarn Estland, dessen e-Governance-Erfolge in ganz Europa für Furore sorgten, könnte sich Litauen nun mit digitalen Finanzdienstleistungen seine eigene Nische aufbauen. Beispiele erfolgreicher litauischer Startups gibt es bereits. Unternehmen wie TransferGo haben sich zum Ziel gesetzt, klassische Banken überflüssig zu machen. Auf eigenen Plattformen ermöglichen sie Überweisungen weltweit und innerhalb weniger Minuten. Internationale Unternehmen wie das auf flexible Zahlsysteme spezialisierte IT-Startup Convious aus den Niederlanden haben bereits ihre Entwicklungsabteilungen nach Litauen verlegt. Dort hoffen sie, qualifizierte Programmierer zu guten Konditionen zu finden. Nach Angaben von Invest Lithuania verfügt das kleine Land im Nordosten Europas über 32.000 IT-Fachkräfte. Jedes Jahr schließen 1.300 IT-Absolventen ihr Studium ab.
Seit langem setzt Litauen angesichts der eigenen IT-Kompetenz darauf, internationale Servicezentren zu etablieren. 2009 eröffnete die Barclays Group ein „Strategic Centre for Technologies and Services“ in Vilnius. Von dort aus werden technische Lösungen und Support für die weltweite Gruppe angeboten – von der Entwicklung neuer IT-Systeme, Mobile Apps und Infrastrukturen bis hin zu Sicherheitslösungen für die Barclays Banking-Systeme. Heute arbeiten allein in der litauischen Hauptstadt 1.200 Mitarbeiter für die Bank. 2010 folgte der Zahlungsanbieter Western Union, dessen „European Regional Operations Center (EUROC)“ in Vilnius heute knapp 1.800 Mitarbeiter zählt. Seit 2014 ist auch die Börse Nasdaq vertreten, die in der litauischen Hauptstadt heute ihr weltweit drittgrößtes „Technology and Business Support Competence Center“ betreibt.
Im Schatten dieser Global Player entwickelten sich zahlreiche kleinere Dienstleistungen und Kompetenzen, die nun in den wachsenden Startup-Markt der litauischen Kapitale fließen. Im Vilnius Tech Park, dem erst 2016 eröffneten größten Co-Working-Space der baltischen Staaten, stehen heute 750 Arbeitsplätze für Gründer zur Verfügung. Um den FinTech-Markt im Land weiter anzutreiben, lockt Invest Lithuania neben diversen Förderprogrammen mit einer E-Money- und Zahlungslizenz innerhalb von drei Monaten (mehr als doppelt so schnell wie im europäischen Durchschnitt), einer Sandbox ohne regulatorische Sanktionen für das erste Jahr nach der Gründung (vergleichbar den Standorten London und Singapur), Zugang zu 34 SEPA-Staaten sowie einem sehr niedrigen Kapitalerfordernis für Gründer.
Die Mischung aus großen Namen und kleinen Innovatoren macht die neue Dynamik in der litauischen Metropole Vilnius aus. Erst im September vergangenen Jahres reisten erstmals acht deutsche IT-Startups zu einer von der Deutsch-Baltischen Handelskammer (AHK) organisierten Markterschließungsreise in die Baltischen Staaten und führten Gespräche mit potenziellen litauischen Geschäftspartnern. Invest Lithuania erwartet unterdessen für das laufende Jahr bereits weitere Gründungen. Nicht nur PayPal steht dabei auf der Wunschliste litauischer Standortwerber. Chinesische Investoren haben soeben bekannt gegeben, unter dem Namen IBS Lithuania eine FinTech-Plattform für Überweisungen zwischen der Europäischen Union und China aufzubauen. Über das in Vilnius etablierte Zentrum, in dem zunächst acht Personen arbeiten, sollen nach eigenen Schätzungen schon bald Zahlungen im Wert von 500 Milliarden Euro im Jahr fließen sowie weitere Dienstleistungen angeboten werden.
Kurzer Film zum Thema FinTech in Litauen (Quelle: Invest Lithuania) investlithuania.com/key-sectors/technology/fintech/
Film zur Startup-Reise der AHK in die baltischen Staaten www.youtube.com/watch